KOMMENTAR: In der realen Welt ist der Abstimmungsausgang über die Verhüllungsinitaitive eher egal. Denn es gibt hier kaum Niqab- oder Burkaträgerinnen. St. Gallen, das ein solches Verbot schon kennt, hatte in vier Jahren gerade mal 28 Verzeigungen. Sieben pro Jahr! Unschön wäre zwar, wenn ausgerechnet das Egerkinger Komitee, wenn ausgerechnet der rechteste Rand der SVP einen Sieg einfahren würde. Aber es gibt durchaus valable Argumente für ein Ja. Und gut begründete Warnungen vor einem militanten Islam. Was ist davon zu halten? Ehrenhaft, aber etwas absurd, sind die Stimmen, die aus feministischen Gründen für ein Ja plädieren. Von dem, was man über hiesige Niqabträgerinnen weiss, handelt es sich meist um Konvertitinnen oder sonstwie Überzeugte, die sich bewusst für einen ultrakonsevativen Islam entscheiden. Und das auch mit ihrer Kleiderwahl manifestieren wollen. Da greift das Befreiungsargument kaum. Wer nicht befreit werden will, ist die falsche Adresse für Befreiungsbemühungen.
Was Touristinnen anbelangt, die aus patriarchalen Ländern stammen, wäre es vermessen zu glauben, die liessen sich mit helvetischen Bekleidungsvorschriften befreien. Verlassen wir – zum Gedankenexperiment – einmal das Feld der Geschlechter und Religion: Es mag ja befremdend sein, dass in der BDSM-Szene vor allem Männer sich Ledermasken überstülpen, damit herumgeführt werden und als Sklaven Putzarbeit verrichten. Es geht aber die Gesellschaft nichts an, was Individuen tun, solange es keine Hinweise auf Zwang und Nötigung gibt. Und genau das müsste das entscheidende Kriterium sein.
Die Schweiz kennt keine Quartiere, die von Islamisten dominiert wären, wie das in Frankreich der Fall ist, wo es durchaus gute Gründe für Verschleierungsverbote gibt.
Ein Nein zur Initiative heisst nicht, dass die Schweiz sich nicht gegen den politischen Islam wappnen sollte. Unterstützt von Saudi Arabien und der Türkei arbeiten in Europa Aktivisten daran, gegen die Mehrheit der einheimischen MuslimInnen einen extremistischen und demokratiefeindlichen Islam zu installieren. Den bekämpft man aber besser, in dem man MuslimInnen nicht ausgrenzt. Den bekämpft man mit CO2-Gesetzen, die Saudi Arabiens Öl-Einkünfte beschneiden. Den bekämpft man mit Transparenzregeln für einschlägige Organisationen. Den bremst man, in dem man fremden Staaten untersagt, religiöse Kreise zu unterstützen. Das Burkaverbot dagegen bleibt reine Symbolpolitik. Deshalb plädieren wir für ein Nein. Auch wenn die Abstimmung eher unwichtig ist – obwohl sie hochemotional verhandelt wird.
Wirklich wichtig erscheint uns die Frage, wer über elektronische Identitätspapiere verfügen kann. Das Staatswesen? Oder private Firmen? Zwar lässt sich argumentieren, dass das Departement des Innern, wo man noch im Fax-Zeitalter steckt und nicht fähig war, zeitnah ein funktionierendes Programm für die Verteilung von Impfterminen für definierte Bevölkerungsteile zu erstellen, auch nicht in der Lage sein wird, eine vernünftige E-ID bereitzustellen. Handkehrum kann es sich die Schweiz nicht leisten, dass ihre Organe in Digitalisierungsdossiers dermassen ahnungsfrei sind. Es wäre eine Bankrotterklärung, würde man die E-ID Privaten überlassen, bloss weil man dem Bund die Umsetzung nicht zutraut. StimmbürgerInnen und das Parlament müssen darauf beharren, dass der Bund sich das nötige Knowhow aneignet. Bei energischer Führung, bei Rückstufung von Fax-Mentalitäten und dem Einkauf von Kompetenz ist das durchaus zu bewerkstelligen.
Daten gelten als eines der wertvollsten Güter des neuen Jahrhunderts. Dabei zentral: Die Identifikation. Und das sollten wir nicht leichtfertig aus der Hand geben. Die Identifizierung der BürgerInnen ist Aufgabe des Staates. Genauso wie das Passbüro nicht durch den Copyshop ersetzt werden sollte, selbst wenn dem Copyshop klare Leitlinien vorgegeben wären. Und wen das noch nicht überzeugt: Das Bundesamt für Justiz weigert sich, den Verordnungsentwurf, also die Details der Vorlage vor der Abstimmung zu veröffentlichen. Wer Ja sagt, kauft die Katze im Sack, wer Nein stimmt vergibt sich nix. Eine E-ID wird ohnehin kommen. Aber da verlangt man besser eine, die kompatibel mit dem Ausland ist. Eine, bei der wir das Kleingedruckte kennen. Und eine, die gemacht wird, weil wir BürgerInnen eine brauchen, nicht weil ein paar Grossfirmen Profite wittern.